Paola Pineda, die Cannabis-Ärztin: “Die Angst vor THC basiert auf Mythen und Fehlinformation”

  • Die Kolumbianerin Paola Pineda Villegas, auch als die ‘die Cannabis-Ärztin’ bekannt, ist eine überzeugte Verfechterin des Nutzens, das medizinisches Marihuana mit sich bringt. Sie behandelt mit therapeutischem Cannabis über 1.000 Patienten mit unterschiedlichen Beschwerden.
  • Sie ist auf HIV und Medizinrecht spezialisiert und begann mit dem Einsatz der Pflanze, nachdem sie medizinisches Cannabis als letztes Mittel bei einem Patienten eingesetzt hat.
  • Seitdem forscht sie über das Thema, aber vor allem kämpft sie, damit medizinisches Marihuana von der Gesellschaft akzeptiert wird.

Paola Pineda Villegas ist kolumbianische Ärztin und auf medizinisches Cannabis spezialisiert, mit dem sie seit Jahren arbeitet und forscht. Sie hat ihren Abschluss an der Päpstlichen Universität Xaveriana gemacht und ist wissenschaftliche Direktorin des Forschungszentrums für Cannabis. Sie begann, Marihuana zu verschreiben, als ihr keine andere Wahl blieb, um die Symptome eines ihrer AIDS-Patienten (der außerdem noch unter Knochensarkom litt) zu behandeln. Beide entschieden sich dafür, es mit Cannabis zu versuchen.

"Ein Patient mit HIV fing an, Schlafprobleme und starke Schmerzen zu entwickeln. Seine Infektion war dank der antiretroviralen Medikamente unter Kontrolle, aber er war verzweifelt wegen seiner Schlafstörung und hatte schon alle möglichen Medikamente ausprobiert", erklärte die Ärztin gegenüber Dinafem.

Beide begannen verschiedenen Möglichkeiten zu studieren und zum Schluss empfahl ihnen ein Spezialist medizinisches Cannabis. „Bis zu diesem Moment kannte ich dieses Thema in Kolumbien nicht. Wir begannen mit Tees und mein Patient rief mich an, dass er sehr glücklich sei. Sowohl seine Schmerzen als auch seine Schlafprobleme hätten sich verbessert", erzählt sie.

Jetzt ist sie in einigen Kommunikationsmedien als die Cannabis-Ärztin bekannt – "selbst meine Freunde nennen mich so", sagt sie lachend. Die HIV-Spezialistin begann sich also für die Behandlungsmöglichkeiten mit medizinischem Marihuana zu interessieren. Eine enge Freundin, die unter starker Migräne litt, zeigte ihr den Weg, als sie bei einer Gelegenheit erwähnte, dass sie ihr Leiden nun viel besser unter Kontrolle hatte und zeigte ihr ein Fläschchen mit Cannabis-Extrakt.

"Ich sagte ihr, sie solle mir den Kontakt der Person geben, der sie damit versorgt habe." Auf diesem Weg hat sie die Mitglieder von Cannalivio kennengelernt, ein kolumbianisches Unternehmen, das seine Patienten, die unter verschiedenen Muskel-Skelett-Erkrankungen, chronischen Schmerzen und Entzündungen litten, Phytotherapie und Kosmetikprodukte auf Basis von Marihuana anbietet. „Ich lernte den Ort kennen, wo sie das Marihuana anbauten, wo sie es verarbeiteten und obwohl alles per Hand hergestellt wurde, waren die Praktiken sehr vernünftig", erinnert sie sich.

Eine Gruppe von über 1.000 Patienten

Auch wenn die Legalisation von medizinischem Marihuana erst vor Kurzem in Kolumbien in Kraft getreten ist, mit der Erlaubnis der ersten Anbaulizenzen, konnten die kolumbianischen Ärzte durch das Gesetz 30 von 1986 schon seitdem medizinisches Marihuana verschreiben. Obwohl während dieser Jahre weder der Kauf noch der Verkauf und die Verarbeitung geregelt waren, konnten die Spezialisten medizinisches Cannabis als Lösung bei verschiedenen Leiden anbieten. Auf diese Weise, progressiv und schon in Kontakt mit den Produzenten und über Cannabis forschend, fing die Ärztin Pineda Villegas an, immer mehr Patienten mit medizinischem Cannabis zu behandeln, um deren Lebensqualität zu steigern.

„In diesem Moment betreue ich eine Gruppe von mehr oder weniger 1000 Patienten. Davon sind 40 Prozent Kinder, die Mehrheit von ihnen leidet unter refraktärer Epilepsie." Bei dieser Art von Epilepsie sind normale Medikamente wirkungslos, es konnte keine Entwicklung erreicht werden, bei der keine Anfälle auftraten. „Am Anfang hat man Angst vor dem THC, aber wenn man den therapeutischen Nutzen für diese Kinder sieht, dann merkt man, dass man nichts befürchten muss", meint die Ärztin.

Des Weiteren führt sie an, dass "die Angst vor THC auf Mythen und falschen Informationen basiert." „Natürlich", erklärt sie, „alle Substanzen müssen mit Vorsicht und großer Verantwortung verabreicht werden, aber die Nebenwirkungen von THC bei Kindern sind sehr gering. Und man muss beachten, dass zu mir keine gesunden Kinder kommen, sondern Kinder mit bestimmten Lebensbedingungen und einigen schwerwiegenden neurologischen Störungen", präzisiert sie.

Deshalb fragt sich die Ärztin, ob es Sinn macht, wenn diese Kinder weiterhin unter Anfällen leiden, sodass sogar neurologische Schäden entstehen können, anstatt ihnen Marihuana zu geben, um eben diese Anfälle zu kontrollieren, ohne dass dies einen größeren Schaden für die Zukunft darstellt. „Ich denke, dass die Entscheidung einfach ist: man sollte dem Versuch mit medizinischem Cannabis eine Chance geben. Ich kann sie doch nicht die ganz Zeit an Anfällen leiden lassen."

Pineda erinnert daran, dass alle Medikamente Nebenwirkungen besitzen und in Übereinstimmung mit den Forschungsergebnissen, wenn das Marihuana gezielt eingesetzt wird, mit einer gut berechneten Dosis, gemäß des Gewichts und der Größe des Kindes, dann ist dies sehr nutzbringend. „In diesen Fällen sind die Vorteile von Cannabis äußerst wohltuend und es besitzt nur wenige Nebenwirkungen", erklärt sie. „Wenn man merkt, wie die Kinder reagieren und sieht, dass sie vorher nicht gehen, nicht sprechen konnten oder das nicht ein Tag ohne einen Anfall verging oder sie keine Nacht ruhig schlafen konnten, mit Appetit essen … und jetzt ist all dies wieder möglich. Wenn man das sieht, dann ist einem jedes Mittel recht."

Die Vorteile von Cannabis

Die Kinder sind allerdings nicht die einzigen Patienten, die sie behandelt. Personen mit Schlafstörungen und Fibromyalgie reagieren besonders gut auf Cannabis. „Die Leute gewöhnen sich daran, schlecht zu schlafen, aber sobald sie anfangen auszuschlafen, sehen sie, wie sich auch viele andere Aspekte in ihrem Leben verbessern. Zum Beispiel können die Schmerzen nun viel besser toleriert werden, den Anforderungen der Familie oder der Arbeit … kann viel besser nachgegangen werden. Den Schlaf wiederzuerlangen bedeutet für viele Personen eine große Veränderung in ihrer Lebensqualität."

Außerdem unterscheidet sich Marihuana von anderen Behandlungen, um wieder schlafen zu können, da diese keinen ruhigen Schlaf garantieren und man abhängig werden kann. „Mit den Cannabis-Patienten haben wir Personen, die es sechs Monate genommen haben, sie haben ihren Schlafrhythmus angepasst und konnten es danach absetzen", führt sie an.

Die Ärztin erwähnt auch den Fall der Patienten mit Fibromyalgie; dessen Verbesserung beschreibt sie als „äußerst interessant." „Diese Krankheit wird mit Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen in Verbindung gebracht, und sobald man etwas gegen die Schmerzen unternimmt, lösen sich diese Probleme von alleine", erklärt sie.

In ihrer Klinik in Bogota sammelt sie weitere Erfahrungen und Erfolge, auch wenn sie zugeben muss, dass die Pflanze kein Allheilmittel ist und dass die Behandlung, genauso wie andere Behandlungen auch, nicht bei allen Patienten funktioniert. Einmal pro Monat fährt sie in die Stadt Medellín und gibt Sprechstunden in einem kleinen und traditionellen Ärztezentrum, das nicht einmal einen richtigen Namen besitzt.

Des Weiteren ist sie Mitglied der Gruppe Curativa, die aus dem Interesse von Produzenten und Medizinern im Land entstanden ist. Dort werden die gemachten Erfahrungen und Forschungsergebnisse gesammelt und sollen so als Informationsquelle für die Bürger dienen. „Letztendlich zählen alle Seiten, was in Israel, in Spanien oder Kanada passiert, aber die Idee ist, eine Seite aufzubauen, auf der erzählt wird, was wir machen, wie es angefangen hat und was wir aufgebaut haben", erläutert sie. Dazu kommt ein nicht zu unterschätzendes akademisches Interesse: die Leute sollen ihre Erfahrungen und den Fortschritt kennen und sie können alles benutzen, falls es nötig sein sollte. Außerdem hat sie aktiv an Debatten über Cannabis teilgenommen, die im kolumbianischen Kongress stattgefunden haben und die vergangenen Dezember die historische Entscheidung brachte, medizinisches Marihuana im Land zu legalisieren.

Als wir sie fragten, was sie an ihrer Arbeit am meisten erfreut, sagt sie, dass es eine schwierige Entscheidung ist. „Ich denke, dass die Fälle, die einem am meisten in Gedächtnis bleiben, diejenigen mit Kindern sind, die täglich zwischen 20 oder 30 Anfälle erlitten haben. Einige von ihnen sind jetzt schon seit Jahren anfallfrei und konnten wieder zur Schule gehen, laufen, wieder sprechen und schreiben, als man dachte, dass dies unmöglich sei", erzählt sie stolz. „Aber man muss auch an eine andere Altersgruppe denken. Ältere Menschen mit Schmerzen, mit Alzheimer, bei denen man sieht, dass sich deren Lebensqualität verbessert", endet sie lächelnd.

22/07/2016

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