Offener Brief von Dr. Grotenhermen an Rick Simpson: „Übertriebene Heilsversprechen, die keiner sachlichen Überprüfung standhalten“

  • Vor einigen Tagen ging im OECM (Observatorio Español de Cannabis Medicinal, „Spanische Beobachtungsstelle für medizinisches Cannabis“) die Nachricht von einem Brief von Doktor Franjo Grotenhermen an Rick Simpson herum, in dem der Arzt den Erfinder des berühmten Cannabis-Öls beschuldigt, zu einer derart ernsten Angelegenheit wie Krebsbehandlungen unverlässliche Angaben zu machen.
  • Der Brief gießt neues Öl ins Feuer der Kontroverse über die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung sowie Erforschung von medizinischem Cannabis – denn obwohl die Pflanze tatsächlich zahlreiche therapeutische Eigenschaften besitzt, kann sie der Welt auch nicht einfach so als allmächtiges Allheilmittel präsentiert werden.

Rick Simpson erlangte dank seines Rezepts zur Herstellung von Cannabis-Öl weltweit Berühmtheit. Unter Berufung auf seine eigenen Erfahrungen – seinen Angaben zufolge hat er mit dem Extrakt seinen Hautkrebs besiegt – preist der Kanadier seit Jahren sein Rezept an und verteilt sein Cannabis-Öl an Kranke, die ihn darum beten. Dies hat ihm rechtliche Probleme eingebracht und später gar zu seiner Auswanderung nach Europa geführt.

Franjo Grotenhermen, Arzt und Gründer der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM), hat nun ein Schreiben veröffentlicht, in dem er zur Vorsicht aufruft. Er beschuldigt Rick Simpson, mit seinen Versprechen auf Heilung unverantwortlich zu handeln, da letztere überzogen seien und nicht genügend empirische Beweisgrundlage besäßen. Rick Simpson solle sich als Nicht-Mediziner mit gewissen, an Krebskranke gerichteten Informationen etwas mehr zurückhalten: „Sie […] nehmen sich […] die Freiheit zu übertriebenen Heilsversprechen, die keiner sachlichen Überprüfung standhalten können, heraus."

Außerdem seien einige Informationen, die Simpson in seinem Buch Rick Simpson Oil – Nature's Answer for Cancer veröffentlicht hat, schlicht falsch. THC sei etwa keineswegs das einzige Cannabinoid mit krebshemmenden Eigenschaften. Es gebe Hinweise, dass CBD bei einigen Tumorerkrankungen sogar mehr Bedeutung besitzen könnte als THC.

Der Deutsche schließt seinen Brief mit scharfer Kritik an Simpsons ablehnender Haltung zu konventionellen medizinischen Behandlungsmethoden für Krebspatienten wie Chemo- oder Strahlentherapie. Simpson rät nämlich direkt von diesen ab: „Unglücklicherweise sind sehr viele Leute, die zu mir kommen, schwer geschädigt durch die Chemo- und Strahlentherapie etc. Die Zerstörungen, die solche Behandlungen anrichten, sind dauerhaft, und die Leute, die diese sogenannten Behandlungen erleiden mussten, sind am schwersten zu heilen. Aber verzweifeln Sie nicht, denn selbst bei so schweren Schäden hat das Öl immer noch eine Erfolgsrate von 70 bis 80 %" (Pos. 970, Kindle). Dies ist für Grotenhermen angesichts der Tatsache, dass etwa in Deutschland 55 % der Patienten jährlich durch Standardtherapien geheilt werden, ein gefährlicher Irrtum.

Da in den letzten Jahren immer mehr Länder und Staaten weltweit die medizinische Nutzung von Cannabis reguliert haben, wird die Notwendigkeit einer professionelleren Branche immer offensichtlicher. Wie jedes andere Medikament sollte auch Cannabis strikte Gesundheitskontrollen durchlaufen. Patienten sollten die exakte Dosis und Zusammensetzung erwerben können, die sie zur Behandlung ihrer Krankheit brauchen. Viele Patienten vermissen diesbezüglich beim Kauf ihrer Medikamente bei Apotheken so grundlegende Dinge wie ein Etikett, auf dem die Zusammensetzung des Cannabisprodukts und der jeweilige Cannabinoidgehalt aufgeführt ist.

Außerdem herrscht auch in Hinsicht auf die wissenschaftliche Erforschung der medizinischen Eigenschaften der Pflanze und deren potenzielle Verwendungen nach wie vor Nachholbedarf: Es gibt zwar bereits zahlreiche vorklinische Studien, die auf den hemmenden Einfluss gewisser Cannabinoide auf das Wachstum von Tumoren schließen lassen, aus irgendeinem Grund aber schaffen es diese in vielen Ländern, wie auch in Spanien, nicht zur klinischen Studie, d. h. werden schließlich doch nie an Menschen getestet.

Funktioniert das Rick Simpson-Öl? Vermutlich ja. Nachdem unzählige Studien auf die antitumoralen Eigenschaften von Cannabinoiden hinweisen, ist durchaus denkbar, dass das Öl mit einer hohen Konzentration dieser Cannabinoide medizinisch wirksam ist und zu gewissen Behandlungen beiträgt. Zwischen dieser Feststellung und der Verkündung, es heile jegliche Art von Krebs, liegen jedoch Welten. Grotenhermens Brief ist daher ein Weckruf: Er verweist zu Recht auf die Mängel der medizinischen Cannabis-Branche – die andererseits auch durch den prohibitionistischen Rechtsrahmen bedingt sind. So zeigt sich einmal mehr, dass die politische Verbotshaltung nicht nur nicht funktioniert, sondern auch etwas behindert, das die Lebensqualität vieler Patienten nachhaltig verbessern könnte.

07/02/2018

Kommentare unserer Leser

1 Kommentar
Kommentar hinterlassen

Kommentare in anderen Sprachen lesen:

Kontakt

x
Kontaktier uns