Cannabis in einem G7-Staat: Was passiert gerade in Kanada?

  • Jetzt ist es offiziell. Kanada ist auf dem Weg, zum ersten G7-Staat zu werden, der den Konsum von Marihuana sowohl für den medizinischen Gebrauch als auch zur Erholung legalisiert. Die neue Regelung wird zwar erst in einem Jahr (im Frühling 2017) in Kraft treten, doch Justin Trudeau von der liberalen Partei hatte über seine Gesundheitsministerin bereits angekündigt, dass man daran arbeite, die Legalisierung von Cannabis zur Realität werden zu lassen.

Dass es sich bei Justin Trudeau um einen untypisches Premierminister handelt, ist nichts Neues. Mit seinem Auftritt in Herrenunterwäsche, seiner Boxer-Vergangenheit und seiner Art hebt er sich von der Erscheinung des grauen Politikers deutlich ab, an den man sonst gewöhnt ist. Erwähnenswert in einer Blütezeit des politischen Marketings und Imponiergehabes ist, dass die Unterschiede bei Trudeau verglichen mit der früheren Politik nicht nur aus leeren Hülsen oder Anekdoten bestehen, sondern tief ins Detail gehen. Von seinem Vater, dem ehemaligen kanadischen Premierminister Pierre Trudeau, hat er den reformatorischen Eifer geerbt und sich vorgenommen, Kanada zu demjenigen Land zu machen, in dem er gerne leben möchte. Wirklich und mit allen Konsequenzen. Ohne rhetorische Umschweife und Hochstapelei zeigt der kanadische Premierminister, der im November letzten Jahres sein Amt antrat, was es bedeutet, eine neue Politik anzustreben. Darüber hinaus scheint ausgehend von seinem hohen Beliebtheitsgrad und dem seiner Regierung, dass die Kanadier ebenfalls gerne in ihrem Land leben.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass am 20. April – zufällig ein für den Cannabis-Sektor markantes Datum – die kanadische Gesundheitsministerin Jane Philpott ankündigte, dass die Regierung bereits an der Legalisierung des Marihuana-Konsums im Frühling 2017 sowohl zur Erholung als auch auf therapeutischer Ebene arbeite. Der für diese Ankündigung gewählte Rahmen war genauso bedeutend wie das Datum selbst, denn Philpott hielt sich in New York auf, wo sie bei der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen (UNGASS) zum Weltdrogenproblem vertreten war.

Dieser gingen zwei weitere Versammlungen voran (1998 bzw. 2009). Sie fand auf Ersuchen mehrerer lateinamerikanischer Staaten statt, angeführt von Kolumbien und Mexiko. Das Ziel bestand darin, die internationale Drogenpolitik zu überprüfen und sie realitätsnaher zu gestalten. Bereits vor 4 Jahren hatten diese Länder, die seit Jahrzehnten unter den schrecklichen Folgen des Drogenhandels und des „War on Drugs“ leiden, die Notwendigkeit bekräftigt, das seit 1971 von der Verwaltungspolitik Richard Nixons vorangetriebene repressive Vorgehen durch einen präventiveren Ansatz abzulösen.

Der Versammlung gelang es schließlich nicht, ihr Ziel zu verwirklichen, das darin bestand, die internationale Drogenpolitik gründlich zu überarbeiten. Die beteiligten Länder beschränkten sich auf die Unterzeichnung eines Dokuments mit Minimalanforderungen, das einen Monat zuvor in Wien freigegeben worden war. Sie diente jedoch als Szenario, das es den Machthabern einiger Länder ermöglichte, ihre positive Haltung gegenüber innovativen Maßnahmen zu zeigen, die mit dem bislang geltenden Status Quo brechen. Darunter auch Mexiko, dessen Präsident Enrique Peña Nieto seinen Besuch in New York nutzte, um anzukündigen, dass sein Land die therapeutische Verwendung von Marihuana legalisieren und darüber hinaus die strafffreie Menge für den persönlichen Gebrauch erhöhen werde. Und natürlich war dies der für Kanada gewählte Ort, um den Beginn seines eigenen Weges zur absoluten Legalität des Cannabis-Konsums anzukündigen.

Programm für medizinischen Hanf

Während seiner Wahlkampagne stellte Justin Trudeau deutlich heraus, dass die Legalisierung von Marihuana eine der Maßnahmen sei, die er, sollte er an die Macht kommen, ergreifen würde. Die Ankündigung seiner Ministerin war also die Bestätigung seines ernst gemeinten Wahlversprechens. Gegenwärtig sind die Maßnahmen und die Art, wie diese Legalisierung Gestalt annehmen soll, noch unklar, doch betonte Philpott bei ihrem Auftritt, dass Marihuana für Minderjährige selbstverständlich nicht zugänglich sein werde und ein Ziel darin bestünde, dass kriminelle Organisationen nicht vom Cannabis-Verkauf profitieren würden. Aufgrund der Mehrheit der liberalen Partei im kanadischen Parlament deutet alles darauf hin, dass die neue Gesetzgebung problemlos vorankommt.

Die Regelung im Hinblick auf den Konsum von Marihuana zu therapeutischen Zwecken ist in Kanada nicht neu. Ganz im Gegenteil. Obgleich sie vor über 15 Jahren (2001) wesentlichen Änderungen unterworfen wurde, war Kanada weltweit das erste Land, das ein von der Regierung kontrolliertes Programm ins Leben rief, das die Produktion von Marihuana und die Weitergabe an chronisch oder unheilbar Kranke, die beim Gesundheitsministerium eine Erlaubnis beantragten, vorsah. Nahmen 2002 noch 500 Menschen an dem Programm teil, war die Zahl im Jahr 2012 bereits auf 26.000 gestiegen.

Ende 2013 kündigte die von Stephen Harper angeführte konservative Partei eine bedeutende Änderung der Regelung für den Zugang zu Cannabis für den medizinischen Gebrauch an, um einen aufgedeckten „Missbrauch“ zu verhindern. Einerseits stellte der Staat nun kein Marihuana mehr her und öffnete Privatunternehmen den Markt, wobei durchaus strikte Sicherheitsanforderungen festgelegt wurden, die das Verbot des persönlichen Anbaus zu Hause beinhalteten Andererseits wurde die Notwendigkeit der Beantragung einer Genehmigung beim Gesundheitsministerium überflüssig. Ärzten wurde die Möglichkeit eingeräumt, ein rezeptähnliches Dokument zu unterzeichnen, bei dessen Vorlage die Patienten die verschriebene Menge stets bei einem zugelassenen Lieferanten erwerben konnten.

Das neue Gesetz trat im März 2014 in Kraft. Obgleich damit der erste Schritt für Privatunternehmen eingeleitet wurde, die beabsichtigten, die Kunden auf dem gedeihenden Cannabis-Sektor festzunageln, war es ein schwerer Schlag für diejenigen Konsumenten, die ihr eigenes Marihuana anbauten. Eine Gruppe dieser Grower brachte den Fall mit dem Argument vor das Gericht, dass das neue Gesetz eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte darstelle. Im Februar dieses Jahres urteilte das Gericht zu ihren Gunsten, wobei eine Änderung des geltenden Gesetzes erzwungen wurde, um den eigenen Anbau wieder zu legalisieren.

Rückgang der Kriminalität

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Kanadier die Legalisierung von Marihuana als etwas Selbstverständliches und nicht etwa als Problem betrachten. Tatsächlich sprechen sich fast 70 % der Bevölkerung für die Entkriminalisierung aus. Das ist ein Beispiel. Damals noch in der Opposition gab Trudeau zu, von Zeit zu Zeit Marihuana konsumiert zu haben. Die konservative Partei versuchte, diese Tatsache gegen ihn zu nutzen, ohne dass dies seinem Beliebtheitsgrad jedoch Abbruch getan hätte.

Für die Kanadier ist die die Regelung im Hinblick auf Marihuana etwas Selbstverständliches und es hat nicht den Anschein, dass sie seinen Gebrauch mit Ausgrenzung in Zusammenhang bringen. Ganz im Gegenteil. Die Legalisierung von Marihuana wird mit einer Abnahme der mit dem Schwarzmarkt in Zusammenhang stehenden Probleme assoziiert, wie aus den Aussagen des Parlamentsmitgliedes und ehemaligen Polizeichefs aus Toronto, Bill Blair, hervorgeht. Er sprach sich dafür aus, Marihuana wie Alkohol und sonstige Substanzen zu behandeln, so dass „man kontrollieren kann, an wen, wann und wo etwas verkauft wird. Damit hat das organisierte Verbrechen keine Chance mehr, davon zu profitieren.“ 

Obgleich so mancher den Frühling 2017 als ein Ziel betrachtet, das noch in weiter Ferne liegt, beweist paradoxerweise die Tatsache, dass die kanadische Regierung im Hinblick auf die Legalisierung von Marihuana für den Konsum in der Freizeit nichts von einen Tag auf den anderen überstürzen möchte, dass es ihr ernst ist. Den Cannabis-Markt in einem der weltweit reichsten Länder in vollem Umfang zu regeln, wirkt sich weltweit auf sozialer, wirtschaftlicher und sogar philosophischer Ebene aus. Es ist erforderlich, dies zu überdenken und eine gründliche Vorarbeit zu leisten, damit die Umsetzung ordnungsgemäß vonstatten gehen kann. Aus internem Blickwinkel betrachtet wird in Kanada eine neue Industrie Einzug halten, deren größter Teil sich bislang im Untergrund entwickelt hat und die eine Substanz herstellen wird, die genau wie Alkohol und Nikotin schädlich ist und verantwortungsvoll konsumiert werden sollte. Deshalb muss das angestrebte Modell, das den Rahmen für die zu treffenden Maßnahmen im Hinblick auf den Schutz von Minderjährigen und die Sicherheit der Konsumenten, Steuergesetzgebung und Regulierung des eigenen Anbaus setzt, gründlich geprüft werden.

Und damit nicht genug: Die Tatsache, dass ein so wichtiges Land wie Kanada Marihuana legalisiert, ist eine bedeutende Botschaft auf der von der verbotsorientierten Politik ihrer Machthaber geprägten internationalen Ebene. Unter anderem stellt sich die Regierung Trudeaus der Herausforderung, die neue Gesetzgebung mit dem Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen von 1961 in Einklang zu bringen. Dieses von der USA erstellte Dokument beabsichtigt, ein einheitliches und universelles Kontrollsystem über Betäubungsmittel festzulegen. Das Ziel besteht darin, den herkömmlichen Konsum von Opium innerhalb einer Frist von 15 und denjenigen von Kokain und Cannabis in 25 Jahren abzuschaffen. Obwohl es den Anschein hat, dass die UNO ihre Haltung hinsichtlich der Frage, wie das Drogenproblem zu lösen sei, allmählich ändert, bleibt – wie in dem Abkommen vom 20. April dargestellt – noch ein langer Weg zu beschreiten.

Auf jeden Fall stellen Justin Trudeau und seine Regierung die Weichen für ein Szenario, das im Hinblick auf die Cannabis-Industrie schon sehr bald Wirklichkeit werden könnte. Eine Wirklichkeit, geprägt von der Legalität sowie einem verantwortungsvollen, in einen selbstverständlichen Rahmen gebetteten Konsum. Von einem ästhetischen Blickwinkel aus betrachtet wird darüber hinaus eine Botschaft von enormer Tragweite gesendet, die die gleiche Idee verbreitet: Es ist möglich, sich im Anzug für die die Legalität von Cannabis auszusprechen, ohne ein regelmäßiger Konsument zu sein, dabei mit den einflussreichsten Machthabern zu verkehren und nebenbei noch eine Lektion in Quantencomputing für Dummies zu erteilen. Ist das etwa keine neue Politik?

30/05/2016

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